30.12.2019 Madrisa Nordwand „Tschübel-Gully“

Kurz vor der Jahreswende zog es Céline und mich ins nahe Ausland. Am 30.12.2019 starten wir in Gargellen mit der ersten Bahn beladen mit Winterkletterausrüstung, Skitourenausrüstung und Motivation für eine ganze Armee.
Bei der Gipfelstation angekommen fahren wir zuerst kurz der Piste entlang ab und wenn an die Bahn unterquert, queren wir nach rechts hinaus. Normalerweise gibt’s hier eine Piste, welche aber aufgrund von Schneemangel noch nicht präpariert ist.
Im Tal möglichst hoch haltend traversieren wir bis kurz unterhalb der Schneerinne. Hier wechseln wir Schuhe und Ausrüstung von Skifahren auf Mixed-Klettern. Man könnte hier auch noch mit Skiern hochsteigen, ist aber in meinen Augen Unsinn, da man wieder Felle montieren müsste und dadurch sicher Zeit verliert, welche zu dieser Zeit im Jahr sowieso schon nicht zu viel vorhanden ist.

Ich starte schwer spurend durch den vielen Triebschnee zum Einstieg der 1. Eisstufe. Ganz wohl ist mir bei der ganzen Sache schon nicht. Ich halte mich an den Rand um möglichst wenig des Triebschnees zu belasten, denn wenn hier etwas in dieser Menge abgeht, wars das!
Endlich beim Eis angekommen können wir wieder durchatmen, die technisch schwierigeren Stellen kann man wenigstens absichern und der Triebschnee ist darüber abgerutscht. Die erste Seillänge ist einfach, WI2 oder so und am Ende kann im Eis Stand gemacht werden. Laut Topo wäre hier ein Felsstand eingezeichnet, diesen haben wir aber nicht gefunden.
Weiter geht’s durch den tiefen Schnee spurend im 45-50° steilen Gelände. Céline übernimmt die ersten 60m und danach folge ich einfach ohne einen Standplatz, welchen es auch nicht braucht in diesem Gelände. Den Rest zur 2. Eisstufe spure ich und schon bald befinde ich mich wieder im Eis. Die Verhältnisse sind suboptimal, die Kletterei aber begeisternd! unter der obersten 2-3cm dicken Eisschicht befindet sich eigentlich über die ganze Seillänge 10-15cm Schnee und die Kletterei zieht sich durchs wegklopfen ebendieser extrem in die Länge. Bei normalen Eisverhältnissen wäre diese Länge easy-going aber so schon ziemlich fordernd (WI4+). Oberhalb der Eisstufe beziehe ich an einem Bolt Stand. durch ein kurzes Schneefeld gelangt man nun zum Herzstück der Route, die Mixed-Kletterei.

Von der 1. Mixed-Stufe habe ich unterdessen Bilder gesehen, welche zeigen, dass wenn wenig Schnee liegt die ersten Meter gleich extrem fordernd sind. Für uns kein Problem, es liegt ja viel Schnee hier. Die Kletterei ist nun eigentlich durchwegs im Schnee und Fels, Eis finden wir keines mehr, welches man klettern könnte.
Vom ersten Bolt geht’s das kurze Dach an recht guten Hooks überwindend in den grossen offenen Riss, am Ende dieses kann und sollte man mit einem Friend absichern, zuerst habe ich einen mässigen 0.75er gelegt und dann einen sehr guten 0.3er und querte dann nach links in die Rinne und später in die grosse Verschneidung. Bis zum Stand habe ich weder sinnvolle Placements für Sicherungen noch alte, belassene Schlaghaken gefunden. Man sollte sich also schon sicher sein, denn falls die Friends halten würde, würde man bereits am Sicherungspartner vorbei fliegen. Wenn nicht, ginge es in geradem Flug ins Schneefeld darunter und in den einzelnen Standbohrhaken des Sicherungspartners. Anzufügen ist, wenn weniger Schnee liegen würde, könnte man vielleicht weitere sinnvolle Placements finden.

Die nächste Seillänge ist die Schlüsselstelle der gesamten Route und ist bei den vorgefunden Verhältnissen schon furchteinflössend. Riesige Schneepilze und Wächten thronen über unseren Köpfen und wir wissen weder wie gut diese halten, noch ob wir die Bohrhaken dieser Seillänge finden würden. Etwas eingeschüchtert starte ich in die Seillänge und was nun folgt ist und bleibt wahrscheinlich einer der wildesten und eindrücklichsten Vorstiege, welchen ich jemals gemacht habe. Kletternd zwischen diesen Pilzen als Kamine und Verschneidungen arbeite ich meinen Weg hoch, finde zum Glück auch die Haken. Die Festigkeit der Pilze ist schon nicht unglaublich gut aber bis zum überhängenden Teil halten alle. Hier bricht mir der erste unter den Füssen weg und ich kann mich gerade noch so an kleinsten Hooks an der Wand halten. Ich spüre wie sich das Seil durch das Gewicht des Pilzes strafft und in der nächsten Sekunde mit einem dumpfen „Whomp“ auf Céline einschlägt welche sowieso schon die ganze Länge unter mir durch den von mir weggeräumten Schnee stillschweigend und geduldig sicherte. Ich rufe ihr zu ob alles Ok sei (durch die Schneewolke konnte ich sie nämlich nicht recht erkennen), ein grummeln ertönt unter der gesamten Ausrüstung und voll zugepackten Kapuze. Es war wohl wie erwartet unangenehm aber sie ist bei Bewusstsein, also steige und kämpfe ich mich weiter hoch an extrem schlechten Hooks und nun auch Pilze vermeidend bis sich das Gelände zurück lehnt (Diese Seillänge hat bei den vorgefundenen Verhältnissen gar nichts mit den angegebenen Schwierigkeiten von M6 zu tun und würde ich doch als einen meiner härtesten Leads bezeichnen – M7+). Keine Ahnung wie lange ich gebraucht habe für diese Seillänge aber es hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Ich beziehe am Bolt direkt oberhalb des überhängenden Kamins Stand an einem einzelnen Bohrhaken, welcher fürs fotografieren perfekt ist. 4 Meter oberhalb hätte es aber einen Stand mit 2 Bohrhaken verbunden mit einer Schlinge, welchen ich aber erst später gesehen habe.
Auch Céline kämpft sich hoch und kommt bei mir am Stand an. Sichtlich gebraucht von der Kälte des letzten Standplatzes.

Es ist jetzt 14:00 Uhr und dunkel wird’s zu dieser Zeit um 17:00 Uhr. Uns steht ein mühsamer Abstieg bevor aber trotzdem will ich noch weiter klettern. Ich klettere vom Stand weg und begebe mich in die geneigtere Rinne. Jetzt wird mir die tiefe des Schnees so richtig bewusst. Ich keuche und kämpfe mit dem „huere scheiss Schnee“. Eigentlich ist es hier maximal 50° steil und man kann einfach hoch marschieren. Ich brauche für 10m mehr als 15 Minuten. Es fühlt sich an wie ein Krieg. Eigentlich würde hier ein riesiger Klemmblock warten, unter dem man gemütlich durchpickeln kann. Das einzige was ich 15m oberhalb von mir sehe ist ein Felsüberhang. Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie ich diesen überwinden sollte und steige weiter auf ihn zu, um mir ein Bild der Lage zu machen. Nun breche ich durch. Bis zu den Schultern, die Füsse an die Seitenwände pressend keuche ich vor Anstrengung. unter mir: loser Schnee, oberhalb von mir meterweise desselben. Bei anderen Berichten sehe ich den Klemmblock, und verstehe nun, warum ich hier so tief durchbrechen konnte, konnte es mir nämlich an dieser Stelle einfach nicht erklären. Ich versuche auszuweichen – unmöglich. Plattiger brüchiger Fels ohne Absicherung versperren mir den Weg.

Es ist jetzt 15:00 Uhr und ich habe mich gefühlt ewig abgekämpft. Wir entscheiden uns, abzuseilen. Was mich schon wirklich ärgert, da wir so viel Energie investiert hatten und eigentlich alle Schwierigkeiten hinter uns lagen.
Anyway, wir müssen jetzt runter. Zeit und Verhältnisse sind hier die entscheidenden Faktoren. Die ersten Abseiler gehen alle direkt an den Bolts, welche wir beim Aufstieg für die Sicherung benutzt hatten. Unterhalb der 2. Eisstufe versorgen wir das Seil in meinem Rucksack welchen ich bis zu den Felspassagen dabei hatte. In der Schneerinne konnten wir sowieso nicht abseilen geschweige denn Standplätze bauen. Also steigen wir zusammen (mit Sicherheitsabstand – der Triebschnee beunruhigte mich immernoch) ab. Beim Eis angekommen muss etwas unangenehm vom Schnee ins Eis abgeklettert werden, bevor ich eine sinnvolle Eisschraube in gutes Eis eindrehen konnte. Bis Céline da war hatte ich dann auch die Sanduhr vorbereitet und wir seilten noch einmal ab. Dann gings einfach stapfend zurück zu den Skiern und mit diesen und den schweren Rucksäcken beladen runter, der Piste entgegen, welche wir bei Sonnenuntergang erreichten. Von hier der Piste folgend in kürzester Zeit zum Auto zurück, wo dann die Dunkelheit über die Natur einbrach.

Fazit

Einfach zugängliche und relativ Verhältnisunabhängige Route durch die Nordwand der Gargellner Madrisa. Die Lawinensituation sollte beachtet werden, da die Route bis zu den Mixed-Passagen einen extremen Lawinentrichter darstellt. Die Eislängen könnten evtl. bei nicht vorhandensein umgangen werden, die Tour wäre dann aber meiner Ansicht nach nicht mehr so abwechslungsreich und lohnend. Die Verhältnisse können gut durch die Webcam des Skigebiets abgecheckt werden.
Die Kletterei ist abwechslungsreich und fordernd. Die Bohrhaken in der Schlüsselseillänge stecken eng und würden ein technisches Vorankommen erlauben.

Zeit:
Die beste Zeit für diese Route ist im Winter, welcher die Felsen zusammengefriert und so mögliche Steinschläge klein hält. Wenn die Lawinensituation passt und die Eisverhältnisse das Eisklettern erlauben kann diese Route bei wahrscheinlich jeglichen Verhältnissen geklettert werden und ist ein super Training für grössere Vorhaben in den Alpen oder ausserhalb.

Unsere Zeit:
10:20 Einstieg
12:40 Start Mixed-Kletterei
15:00 Umkehr oberhalb der Schlüssellänge

Material:
– Lawinenausrüstung
– Halbseile
– kleiner Satz Friends
– 4 Eisschrauben (je nach psychischer Verfassung sollten mehr mitgeführt werden)
– 6-8 Expressschlingen
– Abalakov-Hook
– Steigeisen und Eisgeräte

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